Neue Perspektiven: Das wiedereröffnete Skigebiet Confin in San Bernardino. (Foto: Livia Mauerhofer)
Selten wohl war so viel Grund zum freudigen Cüpli-Trinken: Am 3. Januar traf sich die Bündner Tourismusprominenz zum traditionellen Neujahrsapéro in Chur. Man blickte auf einen erfolgreichen Saisonstart zurück. Zwar lagen die Logiernächtezahlen für Dezember noch nicht vor, aber die Bündner Bergbahnen hatten am Vortag ein Plus von 20 Prozent bei den Ersteintritten gegenüber dem Vorjahr vermeldet. Es war der zweitbeste Wintersaisonstart der letzten zehn Jahre. Darauf stösst man doch gerne an. Alles gut im Bündner Tourismus also? Ja. Nur: Wie lange noch?
Schneemangel im Januar 2023 in Flims: In Zukunft vielleicht öfter als gewohnt. (Foto: Livia Mauerhofer)
Ziemlich genau einen Monat zuvor, Mittelstation Murtèl der Corvatsch-Bergbahnen, 2698 m ü. M. Der Verband Bergbahnen Graubünden (BBGR) lädt zur Generalversammlung. Eigentlich war sie auf der Bergstation Corvatsch geplant. Doch das Schneetreiben und der Wind sorgten dafür, dass der Anlass kurzfristig in der Mittelstation abgehalten werden musste, 600 Höhenmeter tiefer. Das Wetter, es ist eben nicht berechenbar.
Nachhaltigkeit war das grosse Thema in der Medieneinladung, insbesondere die «regionalwirtschaftliche Dimension». Eine neue Studie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Bergbahnen in Graubünden war angekündigt. Diese hatte der Dachverband der 52 Bündner Bergbahnbetreiber quasi im Windschatten einer kantonalen Wertschöpfungsstudie erarbeiten lassen, die dieser Tage veröffentlicht wird.
Mit der Befragung von rund 20 000 Gästen, 8300 Zweitwohnungsbesitzern und 1300 Unternehmen haben die Autoren eine Datengrundlage geschaffen, die sowohl für Graubünden als auch im gesamtschweizerischen Vergleich ihresgleichen sucht. Daraus ergab sich allein für Graubünden eine direkte Wertschöpfung von rund 500 Millionen Franken und eine indirekte Wertschöpfung von 365 Millionen Franken. Dies entspricht gemäss den Autoren der Studie einem Anteil von rund 2,1 Prozent an der gesamten kantonalen Wertschöpfung bzw. rund der Hälfte der Wertschöpfung der öffentlichen Verwaltung. 2,4 Prozent der Beschäftigten im Kanton sind bei den Bergbahnen angestellt.
Das wenig überraschende Fazit: Die Bergbahnen sind wichtig für die Bündner Wirtschaft. Martin Hug, Präsident des Verbandes, betonte deshalb vor den Delegierten, dass Nachhaltigkeit nicht einseitig ökologisch, sondern auch sozial und ökonomisch betrachtet werden müsse, und er hob die Bedeutung der Bergbahnen für das Gesamtsystem hervor: Sie tragen zur dezentralen Besiedlung bei, schaffen Ausbildungsplätze für die Einheimischen und Erholungsräume für alle. Jahr für Jahr investiert man rund 100 Millionen in den Erhalt und die Erneuerung.
Bergbahnen-Präsident Martin Hug. (Foto: Olivia Aebli-Item)
Dabei haben die Bergbahnen mit widrigen Umständen zu kämpfen: Der Fachkräftemangel wird durch das Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt noch verschärft (siehe auch Interview auf Seite 8), Währungsanpassungen haben die Schweizer Ticketpreise massiv verteuert und das Reiseverhalten der Schweizer hat sich verändert: Fernere Feriendestinationen sind erschwinglicher geworden.
Und über allem droht der Klimawandel: Bereits in der Befragung der Bergbahnen wurde der Klimawandel als grösste externe Herausforderung genannt, über 50 Prozent bezeichnen die wärmeren Temperaturen als grosse Herausforderung für das zukünftige Geschäftsmodell. Es ist keine Neuigkeit, dass vor allem Skigebiete in tiefen und mittleren Lagen in Zukunft mit ausbleibenden Schneefällen und kurzen Saisons zu kämpfen haben werden. Unterhalb von 1200 Metern wird es bis zum Ende des Jahrhunderts kaum noch Schnee geben.
Der Grossteil der Wertschöpfung wird nach wie vor im Winter generiert, ja, das Wintergeschäft subventioniert letztlich den Sommerbetrieb. Doch die Uhr läuft: Das alte Geschäftsmodell ist angezählt, ein neues ist noch nicht in Sicht.
Die Seilbahnen befinden sich mitten in einem Transformationsprozess, und gerade die Beschneiung der Pisten hilft, die Zeit zu überbrücken, bis ein neues, tragfähiges Geschäftsmodell gefunden ist. Wie dieses aussehen könnte, ist auch für Hug die grosse Frage. Auf Nachfrage erklärt er: «Es gibt noch kein Modell, das die Wertschöpfung, die in Graubünden im Winter erzielt wird, auf den Sommer überträgt. Das heisst aber nicht, dass wir nicht neue Produkte entwickeln können, für die auch in anderen Jahreszeiten eine Zahlungsbereitschaft besteht. Vielleicht verändert sich das Geschäft auch dahingehend, dass wir mit weniger Umsatz, aber auch mit tieferen Kosten genug erwirtschaften, um unsere Infrastruktur zu erhalten.»
Die Destinationen, aber auch Hotellerie, Gastronomie, Handel, Gewerbe und nicht zuletzt die Politik müssten jetzt gemeinsam die Zeit nutzen, «damit wir auch in 20 oder 30 Jahren noch Wertschöpfung in unseren Tälern haben». Man müsse sich aber auch überlegen, wer diesen Transformationsprozess finanziere, wer also die Kosten für die Beschneiung trage. «Ohne Schnee hat der Hotelier keine Gäste, das Restaurant ist leer und das Sportgeschäft hat keine Kunden», so Hug. Die Beschneiung sei letztlich eine Versicherung dafür, dass es allen gut gehe.
Je höher, desto besser: Schlitteln auf Muottas Muragl. (Foto: © Engadin St. Moritz Mountains AG, Christof Sonderegger)
Doch wer soll das bezahlen? Für Hug ist klar, dass es nicht allein Aufgabe der Bergbahnen sein kann, für genügend Schnee auf den Pisten zu sorgen. Ihm schwebt eine Art Public-Private-Partnership vor, also eine Beteiligung von öffentlichen und privaten Geldgebern, aber keine Subventionen. «Letztlich sind Investitionen in die Beschneiung Investitionen in die Zukunft, damit wir auch in ein paar Jahren noch Wertschöpfung in den Tälern haben.» Denn auch die öffentliche Hand habe in letzter Zeit stark von den Seilbahnen profitiert, vor allem im Immobilienbereich, wo es hohe Wertsteigerungen gegeben habe. Hug weiss, wovon er spricht, ist er doch seit 2021 Gemeindepräsident von Flims. Ab 2025 wird er als Direktor zu den Bergbahnen Zermatt wechseln – und dann auch sein Amt bei den Bündner Bergbahnen abgeben.
Die Frage bleibt: Wie geht es weiter? Wachsen wird das Geschäft in Zukunft kaum noch. Der Bergbahnen-Chef sagt: «Es gibt nicht eine Lösung, die für alle passt, aber jeder muss sich eine Lösung überlegen, die für ihn passt.» Es wird auch in Zukunft Skigebiete geben, die Schnee und Gäste haben – andere müssen sich vielleicht überlegen, ob sie den Winter ganz aufgeben. «Es wird immer Platz für Nischen geben.» Man darf gespannt sein, worauf am 3. Januar 2050 angestossen wird.